Der Erbonkel.

Von Paul Bliß.
in: „Der sächsische Erzähler” vom 01. und 08.12.1912


Eines Tages empfing Herr Wolfram, gerade als er beim zweiten Frühstück saß, einen Brief aus Amerika. Herr Wolfram besah das Kuvert von allen Seiten, aber erkannte weder die Handschrift, noch hatte er eine Ahnung, wer der Absender dieses seltsamen Briefes sein konnte. Endlich öffnete er, ein wenig unsicher und leicht zitternd, das Kuvert und warf einen flüchtigen Blick auf den Briefbogen.

„Ah, von Onkel Edward!” rief er mit heiterem Erstaunen, und nun durchflog er mit rasender Schnelle den Inhalt.

Frau Hermine und Tante Malchen, die eben eingetreten waren und gerade den erstaunten Ausruf gehört hatten, standen nun am Tisch und sahen mit erwarungsvollen Mienen nach dem Gesicht des Lesenden.

„ Er kommt zurück, Kinder,” rief Herr Wolfram lächelmd, „er kommt zurück nach Europa, um hier bei uns seine letzten Jahre ruhig und heiter im Kreise seiner Anverwandten zu verleben. Na, was sagt ihr zu der Neuigkeit?”

Die beiden Frauen sagten gar nichts, sie sahen erst sich, dann Herrn Wolfram ratlos an-

Der aber lachte: „Ja, ihr seid sprachlos, das glaub' ich gern, die Überraschung kommt auch ein wenig plötzlich. Indessen freuen könnt ihr euch doch!”

„Aber ich kenne ja den Onkel nicht und weiß kaum etwas von ihm,” sagte Frau Hermine.

Und Tante Malchen meinte schmollend: „Und ich weiß eben so wenig von ihm. Als er übers Wasser ging, war ich drei Jahre. Ich habe keine Ahnung mehr, wie er aussieht. Und nun ist er nahezu dreißig Jahre fort, und nicht einmal hat er mir ein Lebenszeichen von sich gegeben!”

„Ja, so ist er immer gewesen,” meinte Herr Wolfram, „immer bereitete er uns Überraschungen. Als er damals fortging — ich war zwar erst zehn Jahre alt, aber ich wei0 es noch ganz genau — da sagte er: „Kinder, wenn ich ein reicher Mann geworden bin, dann komm' ich wieder, früher hört ihr nichts von mir!” Na, es hat ja ein bißchen lange gedauert, aber hoffentlich ist er nun wirklich ein reicher Mann, — wir könnten schon einen Erbonkel brauchen, was, Altchen?”

Frau Hermine tat entrüstet: „Aber du weißt ja gar nicht, ob er nicht selber Erben hat.”

„Wenn er die hätte, würde er nicht geschrieben haben, daß er seine letzten Kahre im Kreise seiner Verwandten verleben wolle. Das ist doch klar, wie? Nein, wie ich ihn kenne, ist er ledig geblieben, hat vielleicht ein hübshes Vermögen erworben und kommt nun zurück, um hier bei uns sein Ende zu erwarten.”

Herr Wolfram rieb sich vergnügt die Hände und durchmaß das Zimmer mit großen Schritten.

Plötzlich sagte Tante Malchen, die bis dahin auffallend still gewesen war: „Bei euch soll der Onkel wohnen? Das geht doch gar nicht. Ihr mit der zahlreichen Familie wohnt doch so knapp, daß ihr —”

Aber ihr Bruder unterbrach sie schnell: „Dann nehmen wir eben eine größere Wohnung, das ist doch sehr einfach.”

„Es wäre doch viel richtiger, der Onkel zöge zu mir, ich bewohne doch kaum die Hälfte meiner Villa,” entgegnete Malchen ziemlich fest und ärgerlich.

Ihr Bruder lachte laut auf. „So, so, die liebe Schwester hat wohl mal wieder Heiratspläne im Kopf, was?”

„Ernst, ich verbitte mir das! Ich bin eben dreißig, und der Onkel dürfte fünfzig sein, das schließt doch wohl derartige Pläne vollständig aus,” rief das empörte Fräulein mit hochrotem Kopf.

Der Bruder trat lächelnd zu der Schwester hin und sagte: „Liebes Malchen, mir kannst du doch keine Komödie vorspielen, ich kenne dich doch. Deinen Plan durchschaue ich ganz genai.”

„Ernst, du wirst beleidigend!”

„Weil ich dir die Wahrheit sage?”

„Ich hatte gar keine Hintergedanken, als ich dir den Vorschlag machte, ich glaubte nur, daß es euch bequemer wäre, wenn —&rdquo

Wieder unterbrach sie der Bruder mit leisem Spötteln: „Sehr liebenswürdig, liebes Malchen, daß du plötzlich solche Fürsorge für uns hast. Aber du brauchst dir wirklich keine Unannehmlichkeiten zu machen. der liebe Onkel hat an mich geschrieben, daraus geht doch zur Genüge hervor, daß er bei mir wohnen will; hätte er aber bei dir sein Heim aufschlagen wollen, dann dürfte er dieses Schreiben wohl an dich gerichtet haben. Das ist dir doch klar, wie? Und somit wäre denn also die Erörterung über diesen Punkt geschlossen.”

Schweigen allerseits.

Dann begann Malchen von neuem: „Möchtest du mir nicht wenigstens mal den Brief zeigen?”

„Wozu, Schwesterchen? Was darin steht, habe ich dir ja gesagt. Oder möchtest du vorher noch an den Onkel schreiben? Das wäre zu spät, mein Schatz, denn der gute Onkel ist bereits unterwegs und kann jeen Tag hier eintreffen.” Lachend sah er sie an.

„Adieu!” sagte Malchen sehr kurz und ging hinaus.

Als das Ehepaar allein war, begann Frau Hermine: „Weshalb hast du sie denn so geärgert?”

„Ich bin weit entfernt, sie ärgern zu wollen,” verteidigte er sich, „ich wollte ihr nur von vornherein klar machen, daß sie von dem Onkel nichts zu erwarten hat. Ich kenne meine Schwester! Die hat gehofft, den Onkel zu sich zu nehmen, ihn zu hegen und zu pflegen, bis er alle ist, und dann den Löwenanteil der Erbschaft zu schlucken. Nein, den Gedanken muß ich ihr gleich nehmen. Laß sie jetzt nur schmollen; sobald der Onkel da ist, wird sie sich schon wieder einfinden.”

„Und du glaubst, daß er reich ist?”

„Aber Frau, wenn man schon dreißig Jahre in Amerika gelebt hat und dann zurück nach Deutschland kommt, wird man doch gewiß nicht als armer Mann kommen. Das leuchtet dir doch ein,wie?”

„Mich beunruhigt nur, daß er früher nicht ein einzigesmal geschrieben hat.”

„Du kennst eben den Onkel nicht; ein Sonderling war er immer, das weiß ich von meinem verstorbenen Vater, an den er übrigens zweimal geschrieben hat.”

„Aber woher weiß er denn deine Adresse?”

„Kindchen, ich habe ihm doch vor sechs Jahren Papas Tod mitgeteilt; übrigens laß uns jetzt über etwas Wichtigeres sprechen. Wo bringen wir den Onkel am besten unter?”

Man überlegte hin und her.

Endlich meinte Frau Hermine: „Am besten wäre es waohl, ich räumte ihm die beiden Giebelzimmer ein; da wohnt er bequem, ruhig und ungestört, hat Morgensonne und eine prachtvolle Ausssicht auf den Park.”

„Recht so, Frauchen,” stimmte der Gatte bei, „dort wird er gut aufgehoben sein! Laß nur alles schnell in Ordnung bringen und sorg' dafür, daß es recht nett und anheimelnd wird, damit er sich wohl fühlt bei uns. Aber mach' dich gleich daran, damit er uns nicht überrumpelt.”

So geschah es. Noch in derselben Stunde wurde die Arbeit in Angriff genommen. Die beiden Dienstmädchen mußten scheuern, klopfen, putzen und säubern, und die Hausfrau sah danach, daß alles schnell und gewissenhaft geschah. Bereits am Abend waren die beiden Zimmer eingerichtet. Und als der Herr des Hauses inspizieren kam, mußte er seiner lieben kleinen Frau die vollste Anerkennung zuteil werden lassen, denn die Zimmer waren so traulich und gemütlich ausgestattet, daß nicht das geringste daran auszusetzen war.

Beruhigt begab man sich abends zu Tisch, — jetzt war alles fertig zum Empfang des lieben neuen Hausgenossen, jetzt konnte man getrost seine Ankunft erwarten.

Aber es ging der nächste, der übernächste Tag vorüber, endlich eine ganze Woche, ohne daß der Onkel eintraf.

Frau Hermine wurde schon unruhig; ihr Mann aber vertröstete sie damit, daß der Erwartete wahrscheinlich in Hamburg geschäftlich aufgehalten würde.

Natürlich hatte man die Neuigkeit nicht geheim halen können, und so sprach bereits die ganze Nachbarschaft von dem Erbonkel, der hier seine letzten Tage verleben wolle.

Und Herr Wolfram hatte es früher gar nicht gewußt, wieviel gute Freunde und getreue, liebe Nachbarn er hatte. Erst jetzt erfuhr er das, denn jeder kam und bot ihm seine Dienste an, falls er deren bedürfe. Ja sogar die entferntesten Verwandten erinnerten sich plötzlich ihrer Zugehörigkeit zur Familie Wolfram, machten Besuche, brachten Blumen und kleine Aufmerksamkeiten, die ja bekanntlich die gute Freundschaft aufrecht erhalten sollten.

Auch Tante Malchen hatte eingesehen, daß sie mit ihrem Schmollen nur sich selber Nachteil zufüge, und so war sie denn mit fliegenden Fahnen in das brüderliche Haus gekommen, hatte auch klein beigegeben und zu allen Anordnungen des Bruders Ja und Amen gesagt. Indessen dachte sie aber noch immer: Wenn nur der Onkel erst hier ist, dann will ich ihn mir schon kapern! Aber sie hütete sich wohl, diesen Gedanken laut werden zu lassen.

So war denn der Onkel Eduard für das Stadtviertel ein Ereignis geworden, und sobald eine Gepäckdroschke über das holperige Pflaster rollte, konnte man an allen Fenstern neugierige Gesichter sehen, die des Erbonkels Ankunft erhofften.

Da endlich, nach vierzehn langen Tagen, vollzog sich das Ereignis. An einem sonnenhellen Frühlingsvormittag traf der amerikanische Onkel ein.

Er kam in einer offenen Droschke zweiter Klasse, hatte nur einen sehr bescheidenen Handkoffer mit und war anständig, aber durchaus nicht elegant gekleidet, so daß die lieben Nachbarn, die auf einen prunkvollen Einzug des Millionärs hofften, sich einigermaßen enttäuscht von den Fenstern zurückzogen. Vor Herrn Wolframs Haus stand die ganze Familie, um den langersehnten, teuren Gast zu empfangen; aber auch hier war man ein wenig enttäuscht, als man diesen schlichten Mann mit dem kleinen Koffer ankommen sah.

Die erste Begrüßung verlief, wie ja vorauszusehen war, etwas kühl: man hatte sich eben in nahezu dreißig Jahren nicht gesehen, man konnte sich nicht mehr besinnen auf die Gesichtszüge und stand sich ziemlich fremd gegenüber.

Aber Onkelchen fand sofort einen frischen, lustigen Ton, der über die ersten peinvollen Minuten hinweghalf. Mit lachender Miene rief er: „Na, Kinderchens, ich falle wohl sehr zur unrechten Zeit ins Haus, nicht wahr?”

Sofort beeilte man sich von allen Seiten, ihm zu widersprechen und ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

„O nein, Onkel Eduard,” antwortete der Herr des Hauses mit einem ergebenen Lächeln, „du störst ganz und gar nicht, denn wir erwarteten dich ja längst, und so ist natürlich alles zu deiner Ankunft vorbereitet!”

Onkelchen nickte liebevoll, schüttelte dem Neffen die Hand und sagte: „Das ist nett, sehr nett von dir!”

Da wagte auch Malchen mit schüchterner Ergebenheit die ersten Worte an den Gast zu richten: „Hoffentlioch hast du eine recht gute Reise gehabt, lieber Onkel.”

„Danke, ja, nur die Überfahrt war ein bißchen stürmisch,” entgegnete der alte Herr ein wenig verlegen.

Schnell aber schnitt Herr Wolfram der Schwester die Möglichkeit einer weiteren Unterhaltung ab, indem er sagte: „Na, lieber Oheim, ich darf dich wohl erst gleich in deine Zimmer führen, falls du dich ein wenig erfrischen willst.”

Er ging jetzt voran, die Treppe hinauf, und lächelnd folgte Onkelchen ihm nach.

„So, hier ist dein neues Reich, hoffentlich fühlst du dich hier recht wohl,” sagte Herr Wolfram, als man oben war.

Der alte Herr sah sich um, lächelte sehr zufrieden und meinte dann: „Gut, sehr gut, das habt ihr famos gemacht!”

Und dankbar schüttelte er dem Neffen wieder die Hand.

Der aber wurde nun schon zutraulicher, und da er jetzt mit dem Erbonkel allein war, wollte er gleich den ersten Vorstoß machen, sich das Wohlwollen des Alten zu sichern.

„Sieh mal, Onkelchen,” begann er treuherzig, „reich sind wir ja nicht, aber was wir dir Gutes antun können, das soll gerne geschehen. Also, wenn du keine allzu großen Ansprüche stellst, wirst du dich schon wohl fühlen bei uns.”

„Gewiß, gewiß! Davon bin ich überzeugt!” versicherte der alte Herr, indem er seinem Koffer die notwendigsten Toilettegegenstände entnahm.

„Die Zimmer hier sind ja nicht sehr elegant, aber sie sind gemütlich,” sprach Herr Wolfram weiter, „und vorerst werden sie dir ja wohl genügen.”

„Aber selbstverständlich! Weshalb denn so viele Worte darum!” rief heiter der alte Herr.

Da antwortete Herr Wolfram mit feiner Betonung; „Ich muß dir nämlich sagen, daß ich mit meiner Schwester Malchen deinetwegen schon einen Zwist hatte.”

„Was sagst du?”

„Sie wollte nämlich, daß du bei ihr wohnen solltest, du hättest hier nicht Platz genug. Natürlich ist das nur eine Finte. Die Hauptsache war ihr, daß sie dich immer in nächster Nähe hätte. Du mußt nämlich wissen, daß Malchen sich noch immer mit Heiratsgedanken trägt.”

Jetzt lachte der alte Herr laut auf. „Aha, und da hattest du geglaubt, daß sie auf mich spekuliert?”

„Wenigstens auf dein Vermögen,” ergänzte der Neffe vorsichtig.

Da lachte Onkelchen wieder, diesmal aber mit einem deutlichen Anklang von Spott und Hohn, und über seine Züge huschte ein plötzliches Aufleuchten, das ihm für den Augenblick ein beinahe unheimliches Aussehen gab. Aber nur ein Aufflammen war es, und als es vorüber war, lächelte wieder die wohlige Zufriedenheit aus ihm. Dann sagte er schmunzelnd: „Das hast du gut gemacht, daß du mich davor bewahrt hast!”

Herr Wolfram war überglücklich, daß alles so glatt gelang. Er empfahl sich und bat seinen Gast, nachher zum Frühstück herunter zu kommen.

Als er unten war, fand er seine Frau und Malchen im eifrigsten Flüstergespräch. Natürlich ging es über den Onkel her, und beide Frauen verhehlten sich keinen Augenblick, daß sie einigermaßen enttäuscht waren.

Aber Herr Wolfram zerstreute ihre Bedenken und trieb sie zur Eile an, den Frühstückstisch herzurichten, während er selber in den Keller hinunter ging, um ein paar gute Flaschen herauszusuchen. —

Zehn Minuten später saß man bereits zusammen, und der Gast langte tapfer zu.

Die Unterhaltung wollte zuerst nicht recht in Fluß kommen, man sprach über Alltägliches und gleichgültige Dinge; offenbar wollte man erst warten, bis der Onkel ein paar aufklärende Worte über seine Zukunft gesprochen hatte, Das mochte der alte Herr auch wohl merken, denn bald genug fing er an, sich darüber auszulassen.

„Na, ,Kinderchens,” begann er, „da wäre ich ja nun wieder in unserem lieben Deutschland, oft genug hatte mich schon die Sehnsucht gepackt, aber nun hoffe ich auch, meine letzten Jahre hier in Ruhe und Frieden beschließen zu können.”

„Und hoffentlich bleibst du uns noch recht lange erhalten, lieber Onkel,” schaltete der Hausherr ein.

„Ja, das wünsche ich auch,” setzte Malchen hinzu.

Onkelchen lächelte und meinte: „Na, mir könnt's schon recht sein; wenn man sich sein Lebtag gequält hat, ist es einem im Alter ohne Sorgen noch mal so wohl.”

Jetzt sah Herr Wolfram seine Frau an, als ob er sagen wollte: „Na, hab' ich dir's nicht gleich gesagt!”

Plötzlich gab der Gast dem Gespräch eine andere Wendung: „Ja, denkt euch nur, Kinderchens, was mir in Hamburg passiert ist: mein Koffer ist mir gestohlen worden.”

Allgemeines Erstaunen.

„Unerhört, was? Einfach weg, und trotz aller Recherchen nicht wiederzubekommen! Na, zum Glück waren weder Gelder noch Papiere drinnen, dafür aber meine Wäsche und Garderobe und die Geschenke, die ich euch zugedacht hatte.”

Von neuem wieder allgemeines Bedauern.

„Aber laßt nur gut sein, ihr kommt trotzdem nicht zu kurz. In den Kisten, die in acht Tagen hier sein dürften, ist noch genug Krimskrams für euch drinnen. Das Fatale ist nur, daß ich mich jetzt von Kopf bis zu Fuß neu einkleiden muß, und das so bald wie möglich, denn ich habe jetzt ja nur das, was ich auf dem Körper trage.”

„Na, deshalb mach' dir nur keine Sorgen, lieber Onkel,” rief Herr Wolfram heiter, „ich führe dich nachher gleich aus, und da kannst du den Schaden schnell kurieren.”

Und der gute Onkel hatte wirklich Eile damit, denn gleich, nachdem er sich vom Tisch erhoben, drängte er, die Einkäufe zu besorgen.

Sofort war der Neffe zur Stelle und führte seinen teuern Gast in ein vornehmes Geschäft für Herrenausstattungen, in dem man alles fand, was man brauchte.

Der Chef des Hauses war ein Geschäftsfreund von Herrn Wolfram, und so sprach es sich denn schnell herum, daß der Erbonkel aus Amerika hier große Einkäufe zu machen beabsichtige.

Schon nach einer Stunde war alles beendet, und Onkel Eduard hatte eine musterhafte Ausstattung beisammen.

Gleich nach dem Mittagessen zog der Onkel den Neffen beiseite: „Lieber Ernst, mein Bargeld wird knapp, ich muß ein paar Schecks versilbern. Wo kann ich dies machen?”

„Oh, das besorge ich dir, Onkelchen, gib mir nur das Papier, mein Bankier wird es sofort einlösen.”

Herr Wolfram erhielt einen Scheck über fünfhundert Mark auf eine bekannte Bank in Neuyork; sofort lief er damit zu seinem Bankier, und nach einer halben Stunde bereits hatte Onkelchen schon fünf blaue Scheine, die er schmunzelnd einsteckte.

Nachmittags machte der alte Herr einen Besuch bei Tante Malchen. Natürlich war er im Stadtviertel bereits eine bekannte Persönlichkeit, und es staunte ihn jedermann an, dem er begegnete.

Fräulein Amalie Wolfram war überglücklich, als sie den lieben Onkel so bald bei sich sah; sie überbot sich in Liebenswürdigkeiten, um dem Gast ihr Haus lieb zu machen.

Der Onkel sprach den Wunsch aus, die Villa zu besehen, um die Zimmer kennen zu lernen, die sie ihm zugedacht hatte.

Und sofort führte Malchen den Gast durch das ganze Haus, zeigte und beschrieb ihm alles genau, so daß er sich schon wie zu Hause fühlte.

„Oh,” sagte Onkelchen, „das gefällt mir alles sehr gut, und wenn ich auch nicht gleich herziehen kann, so ist ja damit die Sache noch nicht aus der Welt.”

Malchen war selig. Errötend erzählte sie dem alten Herrn, daß sie alles tun würde, was in ihren Kräften stände, um ihm das Leben so angenehm wie nur möglich zu machen; und als Onkelchen ihr, galant lächelnd, mit einem Handkuß dankte, da schwamm sie in einem Meer von seligen Hoffnungsfreuden.

Während der folgenden Tage machte der teure Gast fleißig Einkäufe in den Geschäften, in denen sein Neffe ihn bekannt gemacht hatte; auch den Bankier suchte er verschiedentlich auf, um neue Schecks einzulösen, und immer gedachte er der lieben Verwandten. Nie kam er heim, ohne der Frau oder den Kindern etwas mitzubringen. Auch an Tante Malchen dachte er stets, schickte ihr Blumen oder Näschereien und war fast täglich ein halbes Stündchen als Gast bei ihr.

So wurde er, der selbst für jeden Fremden immer ein freundliches Wort und einen höflichen Gruß hatte, bald eine allbekannte und allbeliebte Persönlichkeit.

Natürlich fiel auch auf Herrn Wolfram, als den dereinstigen Erben, etwas von der Hochachtung, die man dem alten Herrn zollte; man grüßte ihn ehrerbietiger als sonst, und man buhlte um seine Freundschaft. Täglich erhielt er Besuche und Einladungen; die entferntesten Verwandten fühlten plötzlich das dringende Bedürfnis, die Bande der Zugehörigkeit fester zu knüpfen, und so kamen und gingen die Gäste bei Herrn Wolfram ein und aus.

Eine Woche war verstrichen seit der Ankunft des Erbonkels, und schon fühlte er sich so heimisch, als sei er am Ort seit Jahren ansässig.

Da, am neunten Tage kam ein Telegramm, das den alten Herrn sofort nach Hamburg rief. Die bewußten Kisten seien nun angekommen, man mache aber auf dem Zollamt derartige Schwierigkeiten, daß seine Anwesenheit unbedingt notwendig sei.

Als Onkelchen diese Nachricht bekam, wurde er sehr erregt und rief wütend: „Da, nun denke ich, daß ich Ruhe haben kann, und schon will man mich wieder aufstöbern! Unerhört! Aber ich denke nicht im Traum daran, nach Hamburg zu gehen! Ich kenne diese langweiligen und schwerfälligen Zollbehörden; wenn ich erst da bin, komme ich vor einer Woche nicht wieder fort. Nein, ich werde einfach eine Beschwerdeschrift an den Senat schicken, das wird ebensogut sein.”

Der Neffe war jedoch anderer Meinung. „Wenn dir aber dein Vertreter ein so dringendes Telegramm schickt,” sagte er, „dann wird deine Anwesenheit doch wohl notwendig sein, lieber Onkel.”

Und so redete er dem alten Herrn so lange zu, bis dieser sich entschloß, nach Hamburg zu fahren.

Schnell wurde noch ein eleganter Koffer angeschafft, dann wurde gepackt, und zum Abendzug war Onkelchen reisefertig. Bevor er Abschied nahm, gab er dem Neffen ein versiegeltes Paketchen mit der Bitte, es gut und sicher zu bewahren.

Dann sagte er allen Adieu, und als er mit seinen beiden Koffern im Wagen saß, rief er unter schmunzelndem Lächeln: „Also auf baldiges Wiedersehen!” dann führte ihn der Wagen davon.

Als er so durch die Straßen fuhr, meinte einer der Nachbarn: „Jetzt kann man ihn schon eher für einen reichen Mann halten.”

Zufällig fing Onkelchen diese Worte auf, und wieder lächelte er schmunzelnd.

Bereits am übernächsten Tage hatte Herr Ernst Wolfram Nachricht aus Hamburg: Die Zollbehörde mache in der Tat große Schwierigkeiten; man müsse Protest erheben und reklamieren, also würde wohl sicher eine Woche darüber hingehen.

Man wartete also geduldig. Die Woche verging. Aber weder der Onkel kam, noch ein Lebenszeichen von ihm. Da wurde man ungeduldig, und nun schrieb Herr Wolfram an die ihm vom Onkel hinterlassene Adresse. Wieder wartete man drei Tage vergebens; dann kam der Brief als unbestellbar zurück. Nun war man ratlos,

Da kam eines Tages der Bankier mit Herrn Wolfram zusammen. „Sehen Sie,” sagte er, „hätte Ihr Fräulein Schwester auf mich gehört, dann könnte sie jetzt ein schönes Stück Geldchen verdienen.”

„Wieso denn?” fragte Wolfram erstaunt.

„Sie hätte damals nicht ihre Goldrente verkaufen sollen, wie ich ihr riet, denn jetzt ist sie bedeutend gestiegen.”

Wolfram wurde immer erstaunter. „Davon hat mir meine Schwester ja gar nichts gesagt,” rief er erregt.

„Das wird sie wohl mit dem Herrn Onkel besprochen haben,” antwortete lächelnd der Bankier, „der alte Herr war ja jeden Tag bei Fräulein Malchen.”

Jetzt war Herrn Wolfram, als bekäme er einen Schlag ins Gesicht. Mit zitternder Stimme fragte er: „Mit Onkel Eduard, meinen Sie?”

„Das wissen Sie, scheint mir, wohl gar nicht,” rief der Bankier, erheitert über des anderen Erregung. „Ja, der Onkel war jeden Tag bei Ihrem Fräulein Schwester zu Besuch, und er wird wohl auch ihr Berater gewesen sein, denn er hat ja noch kurz vor seiner Abreise die Papiere bei mir verkauft.”

Herrn Wolfram wurde es plötzlich schwarz vor den Augen; er mußte sich fest auf seinen Stock stützen, um nicht niederzusinken. Er schützte ein plötzliches Unwohlsein vor und empfahl sich schnell.

Kopfschüttelnd und erstaunt blickte der Bankier ihm nach, so hatte er ihn noch nie gesehen.

Der arme, zu Tode erschrockene Herr Wolfram, lief schnurstracks nach der Villa seiner Schwester. Er wußte nicht, was er von dem eben Gehörten denken sollte; alles schwirrte ihm wirr durcheinander, und wenn er wirklich einen Gedanken festhalten und weiterspinnen wollte, dann wurde ihm der Kopf erst recht wüst, denn er mußte sich ja voll Entsetzen gestehen, daß alle seine Pläne und Luftschlösser nun elend zusammenstürzten.

Als Malchen ihn mit so erregtem Gesicht eintreten sah, schrak sie zusammen und fragte zitternd nach seinem Begehr. Und nun, mehr stammelnd als sprechend, brachte er in kurzen, abgebrochenen Sätzen hervor, was er soeben von dem Bankier erfahren hatte.

Die Schwester sah ihn an, als zweifle sie an seinem klaren Verstand. Endlich sagte sie ziemlich ungehalten: „An der ganzen Geschichte ist kein wahres Wort; ich habe wohl mit dem Onkel über die Papiere gesprochen, ich habe sie ihm auch gezeigt, nie aber hat er mir geraten, sie zu verkaufen.”

„Aber, Malchen, der Bankier wird doch nicht solchen Scherz mit mir machen! Erst eben hat er mir doch alles haarklein erzählt.”

„Nun, um der Rederei ein Ende zu machen, will ich dir die Papiere zeigen!” Damit stand sie auf, ging zu dem altmodischen Sekretär, schloß die große Lade auf und suchte in den kleinen Fächern herum.

Kaum hatte sie aber das getan, da stieß sie auch schon einen gellenden Schrei aus und rief laut aufschluchzend: „Die Papiere sind fort! Mein Gott, ich bin ja bestohlen worden!”

Und der Bruder saß da wie vom Schlage getroffen. Das Fürchterliche, was er eben noch nicht zu denken gewagt hatte, es war also wirklich ud wahrhaftig geschehen: sie alle waren die Opfer eines Betrügers geworden!

Mit Gewalt raffte er sich auf, ließ die schluchzende Schwester allein, rannte eilends nach Hause und holte das versiegelte Paketchen heraus. — Er lachte laut auf mit schriller Stimme, denn was er vermutet, war auch hier eingetroffen: der Inhalt des so vielsagenden Päckchens bestand aus alten Zeitungen und vergilbten Broschüren. Ganz unten aber lag ein kleiner Brief, der Herrn Ernst Wolframs Adresse trug. — Und nun las er folgendes:

„Wenn man diese Zeilen liest, dann bin ich längst über den Ozean, also in Sicherheit, denn ich verlasse Europa noch an demselben Tage, an dem ich in Hamburg ankommen werde. Die Geschichte mit der Zollschwierigkeit ist nur erfunden, um mir den Rückzug zu sichern.

Man wird mich zehntausendmal verfluchen, dessen bin ich ganz sicher. Ich gebe auch zu, daß es ein Gaunerstück ist, das ich vollführt habe, gewiß, aber es ist ein sogenannter „großer Coup”, einer der tollsten, die ich in meinem abenteuerlichen Leben ausgeführt habe, und ich bin stolz darauf, daß er so glatt gelungen ist. Natürlich ist der richtige Onkel Eduard längst tot und begraben. Er starb vor einem Vierteljahr, und zwar in bitterer Armut. Durch einen Zufall lernte ich ihn kennen und half ihm zu verschiedenen Malen, wenn er nahe am Verhungern war. Er war ein guter, aber zu anständiger Mensch. Möge ihm die Erde leicht werden. Kurz bevor er starb, ließ er mich zu sich kommen, erzählte mir seine Geschichte, hinterließ mir seine Papiere und bat mich, seinen Angehörigen alles mitzuteilen, wozu er nicht mehr Kraft genug besäße. So wurde ich in alle Verhältnisse eingeweiht, und so entstand der Plan in mir, den ich nun mit so viel Glück und Geschick ausgeführt habe. Ich vertraute auf meine große Erfahrung und auf meine Menschenkenntnis. Die Tatsachen hier beweisen, daß ich richtig gerechnet hatte. Und nun, meine Herrschaften, zürnen Sie mir nicht allzusehr. Zwar habe ich Ihnen ja einige Umstände gemacht und Ihre Geldbeutel um eine Kleinigkeit erleichtert; wie ich aber Ihre Verhältnisse kennen gelernt habe, weiß ich auch, daß Sie den Verlust verschmerzen können. Übrigens muß ich Ihnen noch meine Anerkennung aussprechen: man wohnt und lebt bei Ihnen ausgezeichnet, und ich werde nicht verfehlen, Sie im Kreise meiner Bekannten, falls wieder einmal einer nach Deutschland gehen sollte, auf das angelegentlichste zu empfehlen . . . Womit ich bestens grüßend verbleibe
          der falsche Onkel Eduard.
P.S. Der guten Tante Malchen wünsche ich den besten Mann, der sie für diese Enttäuschung entschädigt.

Als Herr Wolfram das gelesen hatte, mußte er, so wenig es ihm auch danach zumute war, dennoch lächeln; besonders der Hieb auf Malchen machte ihm den meisten Spaß.

Aber das Lächeln verging ihm sehr bald, denn nun kam die krasse Wirklichkeit, und die lautete: bezahlen, alles bezahlen und alles totschweigen, damit kein Mensch den wahren Sachverhalt erfährt und man zu dem Ärger nicht auch noch den Spott einheimst!

Sein erster Weg galt dem Bankier, um die eingelösten Schecks zurückzuzahlen, denn sicher waren sie ja doch gefälscht. Dazu aber mußte er dem Bankier den wahren Sachverhalt erzählen. Schweren Herzens entschloß er sich dazu und bat den erstaunt lächelnden Bankier, zu niemand etwas davon verlauten zu lassen. Der Scherz kostete ihm rund dreitausend Mark. Aber der Bankier gab ihm sein Wort, nichts zu erzählen. Dann ging der arme Mann weiter, in das Geschäft der Herrenausstattungen, zum Uhrmacher, zum Juwelier, zum Schuhmacher, zum Sattler und — der Vorsicht halber — auch zum Blumenhändler. Und er tat recht daran, denn der liebe Onkel hatte bei all den vertrauensseligen Leuten anschreiben lassen.

So bezahlte Herr Wolfram denn alle Rechnungen und erleichterte seine Kasse dadurch um weitere zweitausend Mark.

Und von nun an begann man zu sparen und die Ausgaben auf das Notwendigste einzuschränken, um so die Verluste wieder einzubringen.

Ein Gutes aber hatte dies Geschehnis für die Familie doch zur Folge: man hielt jetzt gute Freundschaft miteinander. Die gleichen Verluste hatten Bruder und Schwester näher gebracht; und nun hielten sie fest zusammen, um gegen alles von außen her Anstürmende geschützt zu sein.

Und die lieben Nachbarn und all die getreuen Freunde kamen nun, um zu sehen und zu fragen, ob denn der Erbonkel noch nicht bald wiederkäme.

Tante Malchen verreiste ein paar Wochen, um den neugierigen Fragern zu entgehen.

Her Wolfram aber erfand eine Geschichte, um den ersten Ansturm abzuwehren. Er erzählte, der Onkel habe wieder zurückreisen müssen, weil er seine Terrains nicht habe so leicht losschlagen können, wie dies zuerst zu erhoffen war; nun müsse er drüben bleiben, bis alles erst verkauft sei.

Damit gab man sich denn auch zufrieden, um so mehr, als jetzt gerade eine andere Sensation für das Stadtviertel neue Aufregung brachte, worüber man auch nach und nach den Erbonkel wieder vergaß.

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